Noch immer ist Sommer in Schleswig-Holstein. Also weg vom Bildschirm und raus an die frische Luft! Das Schleswig-Holsteinische Landestheater ist zurück aus den Theaterferien – und wir wollen Sie weiterhin mit Inspirationen für Ihren nächsten Wochenendspaziergang versorgen! Mitglieder des Schauspielensembles nehmen Sie mit auf ihre liebsten Spaziergangsstrecken und geben Ihnen dazu noch Lyrik mit auf den Weg.
Karin Winkler feiert mit diesem selbstgeschriebenen Text den Ort, der ihr der Liebste ist – die eingesperrte Welt Theater. Welche Kulisse könnte da passender sein als der Möbel- und Requisitenfundus des Landestheaters? Unzählige Überbleibsel vergangener Inszenierungen warten hier sehnsüchtig auf ihren nächsten Einsatz. Es gibt noch so viele Geschichten zu erzählen, noch so viel zu entdecken.
Mit: Karin Winkler | Video: Clara Kreft | Schnitt: Finja Jens | Ton: René Reinhardt
da bin ich. da wollte ich immer sein. hier liebe ich. die eingesperrte welt theater.
wo spiel stattfindet, das sich wahr anfühlt, als würde mir der wahnsinn einer lady macbeth
geschehen. sie leidet und ich mit ihr. sie entleert ihre tränen aus meinen augen und ich weine
mit ihr, geleite sie, zeige ihr das blutige wasser. sie fühlt das gewicht der schuld und ich mit ihr.
die hilflosigkeit überkommt mich vollkommen. unfähig zu handeln rudere ich mit armen, als stürzte
ich und fiele in einen see des vergessens. ich halte die welt an, schaue mich um, bis ich die shakespeare´schen worte erhasche, um gemeinsam mit ihr verrückt zu sein. sie stirbt. ich gehe ab.
sie stirbt nicht, aber wir trennen uns. sie bleibt auf der bühne, im staub, auf den aufgerauten bodenbrettern.
ich schließe die augen. nur kurz. ausgespuckt von einer stürmischen reise, trete ich an land.
mein blick geht zurück und da ist nichts als diese neue lücke.
ich stehe erneut im dunkel auf der seitenbühne und tröste mich über ihren verlust mit dem
reichtum eines neu entdeckten raumes in mir. eine verführerin aus ehrgeiz und
machtstreben, eine mannhafte frau – ein böses wesen?
dann ist schluss. das licht aus. ein rauschen. erst zaghaft und auftritt in ein anderes licht. fremd noch.
ich suche in den dunklen ecken der bühne und da entdecke ich sie, lady macbeth: da sitzt sie entschlossen,
vernichtet, schaut, wie ich mich verneige. applaus.
hirnschalen prosten sich zu. ein rausch. sie laufen über vor überschwang und ich
laufe wie der stier den worten und gedanken hinterher, ein fangspiel, ich eine strenge mutter,
die den sätzen ihren platz zuweist. gedankenkinder flitzen durch labyrinthische gänge und ich
höre nur ihr rufen in der ferne. ich habe möchlichkeiten.
es gibt sackgassen. ich darf irren, mich verirren, herausfinden und durch
die hecke schneiden. mit blutigen kratzern feiern wir glücklich ein fest: der stier,
die verwirrung, die gedankenkinder.
diese abgeschlossene welt, ist mein.
Am Südstrand der Eckernförder Bucht – einem Überbleibsel aus der letzten Eiszeit – trifft malerischer Sandstrand auf schroffe Steilküste. Diese eindrucksvolle Kulisse hat sich Kristin Heil für ihren Frühlingsspaziergang ausgesucht. Dank der ersten wärmenden Sonnenstrahlen des Jahres wagt sie sich dabei sogar schon mit den Füßen ins Wasser. Ob der frische Wind, der ihr hier um die Nase weht, sie zu ihrer Gedichtauswahl inspiriert hat?
Mit: Kristin Heil | Video: Clara Kreft | Schnitt: Jannes Christophersen | Ton: René Reinhardt
Rainer Maria Rilke: Spaziergang
Schon ist mein Blick am Hügel, dem besonnten,
dem Wege, den ich kaum begann, voran.
So faßt uns das, was wir nicht fassen konnten,
voller Erscheinung, aus der Ferne an –
und wandelt uns, auch wenn wir’s nicht erreichen,
in jenes, das wir, kaum es ahnend, sind;
ein Zeichen weht, erwidernd unserm Zeichen …
Wir aber spüren nur den Gegenwind.
Für Neele Maak ist die Sache klar: Es gibt keinen schöneren Ort als das Rendsburger Theater. An einem verregneten Tag, wie er in unserer Gegend ja durchaus vorkommen kann, begibt sie sich deshalb auf einen Streifzug durch altbekannte und neuentdecke Gänge bis ganz unters Dach und landet schließlich wieder genau dort, wo sie hingehört: Auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Lyrisch begleitet wird sie hierbei von frühlingshafter Sehnsucht und Hoffnung.
Mit: Neele Frederike Maak | Video: Clara Kreft | Schnitt: Jannes Christophersen | Ton: René Reinhardt
Eduard Mörike: Im Frühling
Hier lieg’ ich auf dem Frühlingshügel:
Die Wolke wird mein Flügel,
Ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, sag’ mir, alleinzige Liebe,
Wo d u bleibst, dass ich bei dir bliebe!
Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.
Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen,
Sehnend,
Sich dehnend
In Liebe und Hoffen.
Frühling, was bist du gewillt?
Wann werd ich gestillt?
Die Wolke seh ich wandeln und den Fluss,
Es dringt der Sonne goldner Kuss
Mir tief bis ins Geblüt hinein;
Die Augen, wunderbar berauschet,
Tun, als schliefen sie ein,
Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.
Ich denke dies und denke das,
Ich sehne mich, und weiß nicht recht, nach was:
Halb ist es Lust, halb ist es Klage;
Mein Herz, o sage,
Was webst du für Erinnerung
In golden grüner Zweige Dämmerung?
– Alte unnennbare Tage!
Reiner Schleberger nimmt uns mit ans Ufer der Schlei, wo Wald und Wasser aufeinandertreffen. Im Laub des letzten Herbstes sucht er nach den ersten Zeichen eines herannahenden Frühlings, in der um sich greifenden Einsamkeit nach der Nähe zu sich selbst und in alltäglichen Beschäftigungen nach dem schmerzlich vermissten Theaterspiel. Ob er fündig wird, sehen Sie im Video:
Mit: Reiner Schleberger | Video: Clara Kreft | Schnitt: Jannes Christophersen | Ton: René Reinhardt
Theodor Storm: April
Das ist die Drossel, die da schlägt,
Der Frühling, der mein Herz bewegt;
Ich fühle, die sich hold bezeigen,
Die Geister aus der Erde steigen.
Das Leben fließet wie ein Traum –
Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.
Die liebste Spaziergangsstrecke von Kimberly Krall führt direkt an der Eider entlang. Sie lässt sich den Wind durch die Haare pusten und die Sonne auf die Nase scheinen. Die ein oder andere tierische Begegnung ist mit etwas Glück auch mit dabei. Kimberly Krall hat immer ein Buch im Rucksack, und auch auf diesem Spaziergang hat sie einen tollen Ort zum Lesen gefunden. Passend zum langen Osterwochenende liest sie Goethes Osterspaziergang:
Mit: Kimberly Krall | Video: Clara Kreft | Schnitt: Jannes Christophersen | Ton: René Reinhardt
Johann Wolfgang von Goethe: Vor dem Tor
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!
Simon Keel flaniert gern am Kanalufer in Rendsburg. Neben anderen Spaziergängern lassen sich hier auch wunderbar die Schiffe beobachten, die den Nord-Ostsee-Kanal passieren. Die Längste Bank, die mit ihren 575,75 Metern den Weltrekord auf ihrem Gebiet hält, bietet dabei mit Sicherheit ausreichend Platz zum Verweilen. Wir haben Simon Keel auf einem melancholisch-schönen Spaziergang mit überraschendem Ende begleitet. Sehen Sie selbst:
Mit: Simon Keel | Video: Clara Kreft | Schnitt: Jannes Christophersen | Ton: René Reinhardt
Arno Holz: Über die Welt hin ziehen die Wolken
Über die Welt hin ziehen die Wolken.
Grün durch die Wälder
fließt ihr Licht.
Herz, vergiss!
In stiller Sonne
webt linderndster Zauber,
unter wehenden Blumen blüht tausend Trost.
Vergiss! Vergiss!
Aus fernem Grund pfeift, horch, ein Vogel …
Er singt sein Lied.
Das Lied vom Glück!
Vom Glück.